Einflüsse auf das Wohnen durch Feminismus und Pandemie
Feministische Themen, Kritik und Forderungen sind zunehmend in den Medien präsent. Die politischen und sozialen Aktionen, die von feministischen Aktivistinnen durchgeführt werden, zeigen, dass das genderspezifische Ungleichgewicht noch ein großes ist. Das unmittelbare Lebensumfeld, die häusliche Architektur wird dabei seltener angesprochen. Problematiken in Lebens- und Wohnsituationen von Frauen wurden jedoch durch Covid19 zunehmend erkennbar.
Die globale Gesundheitskrise hat unseren gesamten Lebensstil und Lebensgewohnheiten verändert. Durch den vermehrten Aufenthalt in den Wohnungen werden neue Bedürfnisse sichtbar. Es wird mehr hinterfragt, wo und wie wir leben, arbeiten und reproduzieren. Bedürfnisse werden zu einem Begriffsgenerator.
Die Wohnung als Container von Inhalt und die Frage nach Orten und Funktionen ist in architektonischen Diskussionen und Forschung allgegenwärtig. Das Thema wird von jungen Architekt*innen in Projekten und Forschungen aufgegriffen. Bewegungen, Raumnutzungen, Raumsuche, Umräumen in Wohnungen zu dokumentieren und analysieren, erlaubt, die Aneignung von Räumen zu verstehen. Das Bett wird zum Schreibtisch, der Schreibtisch wird zum Esstisch, der Esstisch wird zum Schreibtisch. Erkennbar sind dabei auch Ineffizienz und Eignung. Verbessert werden können Funktionen und Verbindungen.
Wie können junge Architekt*innen Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart nutzen, um Wohnungen für morgen zu entwerfen?
Utopien und Vorschläge für zukünftiges Wohnen von jungen Architekt*innen
Bei der Schaffung von Raum für eine neue Generation sind gesellschaftliche Aspekte von großem Interesse. Die Vision junger Architekt*innen ist eine gleichberechtigte Welt, in der individuelle Bedürfnisse Raum haben. Idealerweise erlaubt Architektur, Räume so persönlich wie möglich zu gestalten.
Mit welchen Technologien lässt sich zukünftiger Wohnraum genderneutral planen? Könnte man Räume programmieren und mittels Software die notwendigen Informationen von Wünschen und Bedürfnissen einfließen lassen? Damit kann Genderspezifisches ausblendet werden. Im Mittelpunkt der Planung stehen raumspezifische und personenspezifische Bedürfnisse. Mit diesen können neutrale und individuelle Räume geschaffen werden.
Junge Architektinnen haben sich mit der Konzeption von Wohnen befasst, die mit verschiedenen Techniken und Technologien auf aktuelle und zukünftige Bedürfnisse reagiert.
Workshop und Ausstellung Drag your Apartment in der Ausstellung Enthüllt das Geschlecht im Raum. École nationale supérieure d’architecture de Paris-Malaquais, 2020
Die Ausstellung zeigt Vorschläge zur Veränderungen von aktuellen Wohnräumen von Student*innen des ENSA-Paris-Malaquais. Auf spielerische Weise wird eine klassische, heteronormierte Wohnung nach Belieben des ‚Spielers‘ geändert. Die Räume in der Wohnung werden neu betrachtet, indem ihre Funktionen, ihre Organisation und ihre Einrichtung hinterfragt werden. Ziel ist, Raum zu befreien. So geschieht die Aneignung eines Ortes durch eine Vielzahl von Entscheidungen und kann Lebensweisen ändern.
Ausstellung Künstliche Intelligenz und Architektur, Stanislas Chaillou, Pavillon de l’Arsenal, Paris, 2020
Im Januar 2020 stellt der Architekt und Datenforscher Stanislas Chaillou im Pavillon de l’Arsenal in Paris seine Forschungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz aus. Er schlägt einen Algorithmus vor, der mit objektiven Daten wie Fußabdruck, Sonnenschein, Anzahl der Gebäudeöffnungen und ohne den Einfluss von sozialen Idealen lernt, wie man besser baut. Chailloux erachtet die Verflechtung von Architektur mit Technologie als essentiell. Das Konzept künstlicher Intelligenz wird auf Architektur angewandt. Es wird ein Dialog zwischen Form und Raumnutzung, zwischen Architekt und künstlicher Intelligenz vorgeschlagen. Wenn Architekt*innen den Bodeneingriff ändern, überprüft die künstliche Intelligenz die Organisation der einzelnen Teile.
2100 – Programming the new domestic landscape, Master Arbeit Constance Picard und Monica Klink, ENSA-Paris-Malaquais, 2019
In einer Masterarbeit an der ENSA-Paris-Malaquais wird vorgeschlagen, alle Möbel in Wohnungen drastischer zu überarbeiten. Es wird ein mathematischer Algorithmus entworfen, der die definierten Bedürfnisse jeder Bewohnerin kennt. Jedem Raum werden Funktionen und Bedürfnisse zugeordnet. Jede dieser Funktionen entspricht einem Quadrat im Algorithmus der Codierungs-Software.
Die computergestützte 3D Modellierungs-Software generiert dann selbständig Formen und Möbel, die den gewählten Anforderungen entsprechen. Da jedes Objekt auf die Funktionen des jeweiligen Raumes reagiert, ist eine Abtrennung nicht mehr notwendig. Schließlich wird durch die algorithmische Herstellung von Möbeln jeder Begriff des Geschlechts aus den Produktionen entfernt. Design fragt nach dem Nutzen und den Bedürfnissen der Menschen im Allgemeinen.
Feminismus, Dekonstruktion und Technologie als Lösungsansatz
Wenn feministische Theorie zunehmend in die Arbeit von Architekt*innen integriert wird, kann dies zur Entstehung einer egalitäreren Architektur führen. In dieser steht das Wohlergehen des Individuums wieder im Mittelpunkt der Überlegungen. Die feministische Analyse und die Dekonstruktion der Gesellschaft verbunden mit der digitalen Revolution, kann eine erfolgreiche Lösung für gender-spezifische Problematiken sein.
Die Herangehensweise junger Architekt*innen an räumliche, genderneutrale Lösungen scheint eine numerische und algorithmische zu sein. Wir sprechen also nicht mehr vom Geschlecht, sondern vom Individuum. Das könnte die Richtung sein, die die vierte feministische Welle einschlagen wird.