Wohnen im Wandel

Wohnen von Frauen in Wien und historische Wohnreform Modellprojekte

Sarah Grassler
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Wohnen von Frauen im Kontext von Wohnbau- und Gesellschaftspolitik

Im öffentlichen Wohnbau spielen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik eine wichtige Rolle. Städte- und Wohnbau verräumlichte und reproduzierte Gesellschaftsmodelle. Geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen die sich im errichteten Wohnbau manifestierten, unterschieden sich oft von Lebensrealitäten und Wohnbedürfnissen von Frauen.

Wie war und entwickelte sich die Wohnsituation von Frauen in der Vor- bis Nachkriegszeit in Wien? Inwiefern entsprach Wohnbau den Wohnbedürfnissen von Frauen? Welche Konzepte und Projekte zur Verbesserung des Wohnens von Frauen wurden entwickelt? Wie fanden Frauenthemen Eingang in den Wohnbau?

Verbotenes selbständiges Wohnen von Frauen in der Vorkriegszeit

Frauen waren in hohem Maße erwerbstätig und oft alleinstehend oder alleinerziehend. Das selbständige Wohnen war ihnen jedoch gesellschaftspolitisch untersagt. Daher lebten sie vielfach in illegalen, unhygienischen Untermietverhältnissen. Die Deutsche Erste Frauenbewegung entwickelt emanzipative Wohnreformmodelle.

Einküchenhaus für alleinstehende, berufstätige Frauen

Die Pionierin der österreichischen Frauenbewegung und Sozialreformerin Auguste Fickert gründete 1909 die Bau- und Wohnungsgenosschaft Heimhof mit. Diese errichte 1911 ein Einküchenhaus für 100 berufstätige, alleinstehende Frauen in Wien-Döbling mit Gemeinschaftsbädern, Zentralküche, Gesellschaftsraum und Bibliothek.

Einküchenhaus für alleinstehende, berufstätige Frauen, Wien-Döbling, 1911. Archivfoto mit freundlicher Unterstützung des Bezirksmuseums Rudolfsheim – Fünfhaus

Hohe Mehrfachbelastung von Frauen in der Zwischenkriegszeit

Das Gesellschaftsmodell Kleinfamilie stand im Mittelpunkt des kommunalen Wohnungsbaus des Roten Wien, in dem 378 Gemeindewohnbauten mit 60.000 Wohnungen errichtet wurden. Den Familien standen rationalisierte Arbeitsküchen, Gemeinschaftswaschküchen und Kinderbetreuung zur Verfügung. Die Gemeinschaftswaschküchen erlaubten nur eingeschränkte Benützung, die mit den Erwerbsalltagen von Frauen schwer kombinierbar war, von Männern kontrolliert wurde und nur alleine von Frauen ausgeführt werden konnte. Gesellschaftspolitisch war die Emanzipation von Frauen nicht erwünscht.

Waschküche im Karl-Marx-Hof, 1930. Foto © Wiener Stadt- und Landesarchiv

Für alleinstehende Frauen und Männer existierten Ledigenheime, eines davon wurde von Architektin Ella Briggs-Baumfeld geplant. Die von Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 1926 in Frankfurt entwickelten kleinen Einzelwohnungstypen für berufstätige Frauen gab es in Wien nicht.

Einküchenhaus für Paare und Familien als emanzipatives, aber nicht erwünschtes Wohnreformmodell

1921 eröffnete die Bau- und Wohnungsgenossenschaft Heimhof ein zweites Einküchenhaus mit zentraler Hauswirtschaft, diesmal für berufstätige Paare und Familien in Wien Rudolfsheim.

Die Mehrfachbelastung von Frauen sollte reduziert werden. Einerseits durch bezahltes Kochservice im Speisesaal oder mit Speiseaufzug in die Wohnungen; andererseits durch hausinternes Wasch- und Reinigungsservice. Das Projekt wurde jedoch politisch nicht akzeptiert. Frauen sollten hauswirtschaften lernen und nur der Einzelhaushalt wurde dem Wohl der traditionellen Familie entsprechend erachtet.

Zentralküche im Einküchenhaus Heimhof für Familien, Wien-Rudolfsheim, 1921. Archivfoto mit freundlicher Unterstützung des Bezirksmuseums Rudolfsheim – Fünfhaus
Speisesaal im Einküchenhaus Heimhof für Familien, Wien-Rudolfsheim, 1921. Archivfoto mit freundlicher Unterstützung des Bezirksmuseums Rudolfsheim – Fünfhaus

Insgesamt fanden die von der Ersten Frauenbewegung in Deutschland konzipierten und initiierten emanzipativen Wohnreformmodelle in Wien nur wenig Niederschlag. Die traditionelle Familie mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung galt in den 1920 und 1930er Jahren als das Maß für den Wohnbau.

Geschlechterideologie im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg

Das sozial konstruierte, konservative Geschlechterideal wurde weiter verstärkt. Jedoch inmitten hoher Arbeitslosigkeit und großer Wohnungsnot widersprach dies der wirtschaftlichen Lebensrealität. Denn auch Frauen mussten Fabriksarbeit verrichten und waren damit mehrfach belastet. In Architektur-Lehrbüchern wurden Frauen im Wohnbau ausschließlich bei Kinderbetreuung und Haushaltstätigkeiten dargestellt.

Verbotenes selbständiges Wohnen alleinstehender Frauen in der Nachkriegszeit

Wirtschaftspolitischer Aufschwung und Wohlstandswachstum kennzeichneten diese Zeit genauso wie die erneute gesellschaftspolitische Etablierung konservativer, traditioneller Geschlechterverhältnisse mit Betonung auf Heim und Familie. Nach den erstarkten Überlebensgemeinschaften von Frauen während des Krieges sollte nach der Rückkehr der Männer die Geschlechterordnung wiederhergestellt werden.

Wohnhaus für berufstätige, alleinstehende Frauen

Keine Berücksichtigung fanden dabei die vielen kriegsbedingt alleinstehenden und auch berufstätigen Frauen. Ihnen war das selbständige Wohnen gesellschaftlich und finanziell verwehrt. Für deren Wohnbedarf initiierten Frauen eine Baugenossenschaft, die ein Wohnhaus ausschließlich für Frauen errichtete. Architektin Edith Lassmann plante das 1954 fertiggestellte Gebäude mit 80 kleinen Wohneinheiten und außergewöhnlicher Gebäudeausstattung in Wien-Penzing. Lassmann engagierte sich auch in weiteren Wohnprojekten für Frauen, ab 1950 für ein Wohnhaus für alleinstehende, pensionierte Akademikerinnen und ab 1960 ein Haus für berufstätige Mütter samt Kinderkrippe.

Wohnhaus für berufstätige, alleinstehende Frauen. Arch. Edith Lassman, Wien-Penzing, 1949. Foto: Gemeinnützige Baugenossenschaft berufstätiger Frauen

Städte- und Wohnbau für erwerbstätige Männer in der Nachkriegszeit

Der große Wohnbaubedarf in den Nachkriegsjahrzehnten wurde durch Geschosswohnbau in seriell vorgefertigter Massenproduktion gedeckt. Dieser entstand vielfach an den Stadträndern in schlechter Lage ohne Infrastruktur und mit einheitlichen Grundrissen für Normfamilien. Sie waren für die Erholung und Freizeit des arbeitstätigen Mannes ausgelegt.

Die weibliche Haushaltstätigkeit in den Wohnungen wurde in kleinen Räumen rationalisiert und unsichtbar gemacht, die Wege zu Nahversorgung waren lange und die Freiräume schlecht nutzbar. Diese baulich-räumlichen Mängel mussten Frauen durch unbezahlte Mehrarbeit kompensieren.

Großfeldsiedlung, Wien-Floridsdorf. Foto © Thomas Ledl Commons.Wikimedia

International entstanden in den 1950er und 1960er Jahren Initiativen, Ausschüsse und Arbeitskreise, die sich kritisch mit dem Massenwohnungsbau und unberücksichtigten Nutzungsbedürfnissen von Frauen befassten.

Frauenbewegung und sozialer Wandel ab den 1970er Jahren

Im Zuge der Zweiten Frauenbewegung in Österreich in den 1970er Jahren entwickelte sich weibliche Emanzipation, in der Frauenfragen und Diskriminierungen auch politisch thematisiert und diskutiert wurden. Die Familienrechtsreform schuf rechtliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern. In der Gesellschaftspolitik kommt es zu einem sozialen Wandel und eine Zunahme an unterschiedlichen Lebens- und Haushaltsformen ist erkennbar. Im Wiener Wohnbau bekommt Gestaltung mehr Bedeutung, Freibereiche werden wichtig als Kommunikationsbereiche, neue Bauformen und Wohnungstypen entstehen.

Feministische Forderungen nach einem frauengerechten Wohn- und Städtebau

In Deutschland thematisierten ab den 1970er Jahren Fraueninitiativen die Schwierigkeiten von leistbarem Wohnraum für Frauen und schufen autonome Frauenräume. Ebenso wurden auch seitens der Politik Frauenbelange im Städtebau behandelt und formierten sich feministische Planerinnen an Universitäten zu Kritik an Stadt- und Wohnbauplanung.

In Österreich erfolgten ähnliche erste Initiativen durch feministische akademische Planerinnengruppen ab den 1980er Jahren. In der Verwaltungsebene der Frauenpolitik wurde frauengerechter Wohnbau ab den 1990er Jahren diskutiert. Dabei war Wien Vorreiter.

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