Fragen an Expertinnen und Betroffene
In Österreich leben etwa 2,1 Millionen Menschen mit ausländischem Familienhintergrund (2019). Unter den zugewanderten Drittstaatsangehörigen, die aufgrund von Beschäftigung migrierten, betrug der Frauenanteil 33% (2016).
Mit welchen Herausforderungen sind Frauen mit Migrationshintergrund hinsichtlich Aufenthalt, Beschäftigung und Einkommen konfrontiert? Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten haben migrantische Frauen am Wiener Wohnungsmarkt hinsichtlich Zugang, Leistbarkeit und baulich-räumlicher Aspekte? Welche unterstützenden Beratungs- und Wohnprojekte gibt es für Frauen mit Migrationshintergrund?
Antworten darauf geben ein Expertinnen-Interview, umfassende Datenerhebung sowie eine eigens erstellte online-Umfrage. Elisabeth Jama war bis 2020 Leiterin der Wohnberatungsstelle WIWA Wohnen in Wien für Asylwerber*innen und Flüchtlinge der Diakonie. Die Organisationen Frauensolidarität für feministisch-entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit, Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant*innenbetreuung, LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen unterstützten mit Daten und leiteten die Umfrage weiter.
An der online-Umfrage nahmen im April/Mai 2020 insgesamt 27 alleinerziehende oder -stehende Frauen mit Migrationshintergrund mit einem gültigen Aufenthaltstitel länger als sechs Monate sowie Frauen aus der zweiten Zuwanderungsgeneration mit österreichischer Staatsbürger*innenschaft teil.
Beschränkter Zugang zum sozialen Wohnbau
Wien hat einen hohen Anteil an sozialem Wohnbau, jedoch ist dieser aufgrund der Zugangsbestimmungen nur begrenzt zugänglich für Migrant*innen. Anerkannte Flüchtlinge sind berechtigt, sich für ein Wiener-Wohn-Ticket anzumelden, jedoch nicht subsidiär schutzberechtigte Ausländerinnen. Die weitere Voraussetzung eines zweijährigen ununterbrochenen, gemeldeten Hauptwohnsitzes in Wien, erfüllen Migrant*innen aufgrund oft prekärer Mietverhältnisse ohne ordentlichen Mietvertrag vielfach nicht.
„Einen Meldezettel länger als zwei Jahre zusammenzukriegen, ist eine Leistung. Es werden sogar Meldezettel gegen Geld vermietet, eine sogenannte: „Meldezettelmiete“
Expertin Elisbeth Jama
Herausforderungen am privaten Wohnungsmarkt
Durch diese erschwerte Zugänglichkeit des sozialen Wohnbaus steht Migrant*innen vorwiegend der private Mietwohnungsmarkt zur Verfügung.
„Für eine geförderte Wohnung bin ich nicht gleichgestellt und der private Wohnungsmarkt ist für meine Einkünfte zu teuer“
Aussage aus der Umfrage
Hier kann jedoch die sprachliche Barriere eine Benachteiligung darstellen, ausländischer Akzent oder schlechte Deutschkenntnisse verringern die Chance am Wohnungsmarkt. Die Wohnungssuche wird auch durch einen ausländischen Namen erschwert. Eine Wienerin verschickte versuchsweise mit einem arabischen Namen 50 Anfragen für Wohnungsbesichtigungen über Immobilienplattformen. Dabei erhielt sie nur drei Antworten, zwei davon Absagen. Wohnungsanfragen von Personen mit ausländischen Namen werden tendenziell nicht beantwortet, abgelehnt oder mehr Nachweise verlangt.
Ebenso sind kleidungsbezogene, religiöse Bekenntnisse zugangserschwerend. Frauen mit Kopftuch haben es schwerer. Auch das Herkunftsland der Wohnungsinteressentinnen kann negativ mit Bildung, Kultur, Religion und Familie assoziiert werden und sich nachteilig auswirken.
„Je dünkler die Hautfarbe ist, desto weniger werden sie die Chance haben, eine bessere Wohnung zu ergattern.“
Expertin Elisbeth Jama
Personen mit migrantischem Hintergrund werden auch eher nach der Anzahl der Kinder gefragt. Dabei haben es alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern besonders schwer am privaten Wohnungsmarkt. Insgesamt werden Wohnungsbesichtigungstermine mit Migrantinnen oft als eine Art Vorstellungsgespräch geführt, wo besondere Nachweise oder höhere Mietbeträge verlangt werden.
Beschäftigung und Einkommen als Basis für die Leistbarkeit von Wohnen
Frauen sind von den stark gestiegenen Mieten am privaten Mietwohnungsmarkt mehr als Männer betroffen. Weibliche Durchschnittseinkommen liegen deutlich unter männlichen. Mögliche Berufstätigkeiten und Einkommen sind von formalen Bildungsabschlüssen beeinflusst, Migrant*innen aus Drittstaaten haben oft nur Pflichtschulabschluss. Migrantische Frauen sind vielfach kulturell bedingt hauptverantwortlich für Haushalts- und Familienarbeit. Sie sind eher in Niedriglohnbranchen tätig und haben schlechtere Arbeitsbedingungen.
Umfrage: Benachteiligungen von migrantischen Frauen bei Arbeitssuche aufgrund Herkunft
38 % antworteten mit Nein
62 % antworteten mit Ja
Umfrage: Arbeitsverhältnisse von Frauen mit Migrationshintergrund
12,50 % Vollzeit
25 % Teilzeit
62,50 % geringfügig
Umfrage: Höhe des Nettojahreseinkommens von migrantischen Frauen
Schwierige Leistbarkeit von Wohnen
Aus all diesen Gründen verdienen Frauen mit Migrationshintergrund tendenziell weniger oder haben unterbrochenere Erwerbsbiografien. Es kann herausfordernd sein einen Lohnzettel der letzten sechs Monate vorzuweisen. Damit ist die Leistbarkeit von Wohnen für migrantischen Frauen sehr eingeschränkt, vor allem bei freien Mietpreisen und hohen Kautionen. Laut der durchgeführten Umfrage verlangen Immobilienagenturen ein viermal so hohes Einkommen als die Miete. Von ausländischen Mieterinnen wird häufig ein Vielfaches an Kaution verlangt. Zusätzlich werden von Ausländerinnen auch teilweise Sonderbeträge zur Absicherung gegen Beschädigungen in der Wohnung verlangt.
„Es werden Kautionen gefordert, die nicht mehr leistbar sind, auch wenn die Wohnung leistbar wäre. Sie verlangen zum Beispiel sechs Monatsmieten Kaution. Sehr häufig gibt’s auch komische Provisionszahlungen, teilweise auch pro Besichtigungstermin.“
Expertin Elisabeth Jama
In Zinshäusern, die renoviert und teuer weitervermietet werden sollen, werden oft überhöhte Mieten verlangt, um Mieter*innen zu delogieren. Wollen die Frauen dann die Wohnung verlassen, stehen sie vor der nächsten Herausforderung:
„Denn die einzigen Wohnungen, die leistbar sind mit den geringen Einkünften, sind solche Wohnungen, wo nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch ihre psychische Gesundheit gefährdet wird. Es ist eine Dauerbedrohung, die Wohnung zu verlieren. Andererseits will man auch nicht dort wohnen. Niemand möchte so wohnen“
Expertin Elisabeth Jama
Wohnungsausstattung und Wohnzufriedenheit
Personen aus Drittstaaten leben häufiger in Mietwohnungen im Ballungsraum mit niedriger pro-Kopf Wohnfläche und überdurchschnittlich hohen Mietkosten. Häufig handelt es sich um Substandard Wohnungen, die in schlechtem baulichen und hygienischen Zustand mit Schimmel und Ungeziefer sind. Es werden auch Kellerabteile oder Lagerräume als Wohnräume vermietet, die eigentlich keinen Wohnzweck erfüllen.Bekannt sind auch Gewaltprobleme im Zusammenhang mit Vermieter*innen oder Makler*innen.
Umfrage: Zur Verfügung stehende Wohnfläche Pro-Kopf im Haushalt
73 % 5-10 m² Wohnfläche pro-Kopf
9 % 11-20 m² Wohnfläche pro-Kopf
18 % 30 m² Wohnfläche pro-Kopf
Bei der durchgeführten Umfrage erachteten 38,9 % der Befragten ihre Wohnung/ihren Wohnraum als nicht ausreichend für ihre Bedürfnisse. Mit 61,1 % ist der Anteil der Teilnehmerinnen mit Wünschen an ihren Wohnraum/ihre Wohnumgebung wesentlich höher. 57,1 % der Frauen bemängeln Raumaufteilung, Zimmergrößen und fehlenden privaten Freiraum. 42,9 % beurteilen die Belichtung als problematisch.
Handlungsbedarf
Es gibt einen hohen Bedarf an leistbarem, qualitätsvollem Wohnraum für migrantische Frauen. Soziale, finanzielle und politische Maßnahmen können diesbezüglich positiv wirksam sein. Dazu gehören direkte und indirekte finanzielle Unterstützung und Förderungen für Migrantinnen bzw. Wohnungsbeihilfe, psychische und soziale Unterstützung hinsichtlich ihrer Arbeitssituation. Die leichtere Zugänglichkeit des sozialen Wohnbaus und auch Entwicklung frauenspezifischer Wohnprojekte für Migrantinnen können die Situation für diese Zielgruppe erleichtern.
Unterstützungsprogramme für das Wohnen von Migrant*innen in Wien
Mit dem Anstieg der Anzahl an Flüchtlingen besonders seit 2015 wurden entsprechende Unterkünfte bedeutsam und dafür neue Lösungen gesucht und Projekte entwickelt. Die angeführten Einrichtungen werden großteils über den Fonds Soziales Wien finanziert:
INTO Wien ist eine der Integrationseinrichtungen für asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Menschen. In der Diakonie Flüchtlingsdienst-GmbH gibt es die Wohnberatungsstelle WIWA für Asylwerber*innen, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in Grundversorgung. Diakonie, Volkshilfe und Caritas bieten betreute, auf drei Jahre befristete Startwohnungen an. Mein Wien-Apartment unterstützt als Fonds temporäres Wohnen von Menschen in prekärer, unverschuldeter Wohnsituation bis zu fünf Jahren. Die Wohndrehscheibe der Volkshilfe Wien bietet Hilfe am privaten Mietwohnungsmarkt an.