Vorbild öffentlich geförderter Wiener Wohnbau
In Wien wird alltags-und frauengerechtes bzw. gendergerechtes Planen und Bauen bereits mehr als drei Jahrzehnten thematisiert und ist in den Planungskriterien des öffentlich geförderten Wohnbaus verankert. Anders ist die Situation in anderen österreichischen Bundesländern. Welche Rolle frauen- und alltagsgerechte bzw. genderspezifische Planungskriterien im öffentlichen sozialen Wohnbau Vorarlbergs spielen und ob es formulierte Vorgaben oder Kontrolle der Berücksichtigung gibt, wird mittels qualitativer Befragungen von Politik- und Planungsverantwortlichen und der Analyse von zwei Wohnbauprojekten untersucht.
Alltags-, frauen- und gendergerechte Planungskriterien
Ziele von alltags- und frauengerechtem Planen sind, die vielfältigen Alltagsbedürfnisse von Frauen und ihren Familien in Wohnung, Wohngebäude und Wohnumfeld baulich-räumlich zu berücksichtigen und zu erleichtern. Für alle drei Maßstabsebenen Wohnumfeld, Wohngebäude und Wohnung wurden dafür Kriterien entwickelt.
Das Wohnumfeld benötigt eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, eine wohnungsnahe Infrastruktur, ein gutes Fuß- und Radwegenetz, Freiraumgestaltung und Sicherheit im Freien. In Wohngebäuden sind die Nutzungsflexibilität des Gebäudes, die Lage und Gestaltung von Eingängen, Erschließungsbereichen, Gemeinschaftsflächen und Hausnebenräumen wichtig. Wohnungen sollen in verschiedenen Typologien angeboten werden, die flexibel und anpassbar sind, sowie nutzungsneutrale Räume und private Freibereiche aufweisen.
Untersuchung zur Situation des Wohnbaus in Vorarlberg
Aus diversen Handbüchern wird ein umfangreicher und präziser Kriterienkatalog aus frauen- und gendergerechten Planungsaspekten zusammengetragen. Dieser dient als Basis für die Befragungen von Akteur*innen aus Politik, Verwaltung und Planung sowie für die Gebäudeanalysen ausgewählter Wohnbauprojekte in Vorarlberg.
Wissensstand in Politik und Stadtbauämtern, unter Bauträger*innen und Architekt*innen
Im Frühling 2020 wurden Vorarlberger Politiker*innen, Bauträger*innen und Planer*innen kontaktiert. Erhoben wurde, welches Wissen zu frauen- und gendergerechtem Planen vorhanden ist, wie der Stand der Auseinandersetzung und die Anwendung von Kriterien ist und welche Zukunftsperspektiven es gibt. Die Rücklaufquote war mit zwei Personen aus der Stadtplanung und drei Architekt*innen äußerst gering. Damit ist die Befragung nicht repräsentativ, sondern gibt nur einen Einblick.
Umfrage: Bereits erfolgte Auseinandersetzung mit dem Thema Gender Planning
60 % Ja
40 % Nein
Umfrage: Mitverfolgung der Entwicklung in der Vorbildstadt Wien
20 % Ja
20 % Ja, etwas
20 % Unbewusst
40 % Nein
Es zeigt sich, dass sich die meisten Teilnehmer*innen noch nicht explizit mit dem Thema alltags- und frauengerechtes bzw. genderspezifisches Planen und Bauen auseinandergesetzt haben. Die Thematik ist ungefähr bekannt, der Wissenstand ist nicht groß, aber das Interesse vorhanden. Es herrscht Einigkeit, dass bei Wohnbauprojekten auf unterschiedliche Benutzer*innenbedürfnisse eingegangen werden und diese auch schon in die Planung mit einfließen sollen. Die Befragten erachten die meisten Planungsaspekte im vorgelegten Kriterienkatalog als Standard und setzen diese auch teilweise schon um.
Umfrage: Kontakt mit Thema Gender Planning erfolgte durch:
Obwohl die Architekturqualität in Vorarlberg bereits einen hohen Standard hat, wird zugegeben, dass im Wohnbau noch mehr Handlungsbedarf besteht. Alltags- und frauengerechte bzw. genderspezifische Planungskriterien spielen keine wesentliche Rolle. Die Vorgabe und Kontrolle von Planungskriterien ist nur in Ansätzen vorhanden. Zukünftige Gender Planning Maßnahmen scheinen nicht angestrebt zu werden. Zusammengefasst besteht in Vorarlberg noch Bedarf an Information und ausführlicher Auseinandersetzung zu dieser Thematik.
Analyse zweier geförderter Vorarlberger Wohnbauprojekte anhand frauen- und gendergerechter Planungskriterien
Zwei ausgewählte Wohnbauprojekte von gemeinnützigen Wohnbauträgern in Vorarlberg wurden im Frühling 2020 beispielhaft auf die Berücksichtigung und Umsetzung von alltags-und frauengerechten bzw. gendergerechten Planungskriterien analysiert. Es handelt sich um die Wohnsiedlung Maierhof in Bludenz mit 67 Wohneinheiten in 8 Gebäuden aus 2019 sowie das Wohnprojekt Wohnen 500 in Mäder mit 20 Wohnungen in zwei Gebäuden aus 2016. Die Qualität der Wohnbauprojekte ist hoch, viele Planungskriterien werden schon selbstverständlich angewendet und gelten als Standard in Vorarlberg.
Wohnumfeld
Beide Projekte sind gut an den öffentlichen Verkehr und das Fuß- und Radwegenetz angebunden und haben ausreichende Infrastruktur in der unmittelbaren Umgebung. Bei einem der Projekte wurde die Freiraumgestaltung von einem Landschaftsarchitekturbüro übernommen und wird unterschiedlichen Nutzer*innenanforderungen gerecht. Im anderen Fall gab es keine Freiraumplanung oder Gestaltung für gemeinschaftliche Aktivitäten im Freien.
Wohngebäude und Wohnungen
Die Erschließungszonen sind sehr kompakt und ohne Freiraumbezug, was die Begegnungsqualität einschränken kann. Es gibt nur wenige bzw. keine Gemeinschaftsräume. Teilweise sind die Gebäudeeingangssituationen unübersichtlich.
Die Wohnungen sind durchwegs nach zwei Himmelsrichtungen orientiert und damit gut querbelüftbar. Grundrisse bestehen aus einer Wohnküche mit ein bis drei Schlafzimmern. Die Zimmer sind getrennt begehbar und haben die erforderliche Mindestgröße von 10m². Fast alle Wohnungen haben einen privaten Freiraum wie Balkon oder Loggia direkt beim Wohnbereich. Die Wohnungen sind allerdings in Größe und Anordnung recht vordefiniert und daher intern eher wenig flexibel oder zusammenlegbar. Eine Einbindung von Nutzer*innen in der Planungsphase gab es kaum.
Fazit
Die in kleinem Umfang erfolgte Befragung von Verantwortlichen und Analyse der Wohnprojekte in Vorarlberg zeigt, dass frauen- und gendergerechte Wohnbauplanung keine wesentliche Rolle spielt. Obwohl die Wohnbau-Standards hoch sind, sind manche Kriterien des frauen- und gendergerechten Planens und Bauens nicht umgesetzt. Es ist wichtig, bei allen Wohnprojekten darauf zu achten, dass Partizipation möglich ist, Freiräume gut für Nutzung gestaltet sind, Erschließungsbereiche gute Aufenthaltsqualität aufweisen und vielfältige, flexible Wohnungen angeboten werden.