Wohnen im Wandel

Utopien und Wohnmodelle zur räumlichen Umorganisation der reproduktiven Arbeit

Sarah Fuchs
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Reproduktionsarbeit und Raum

Reproduktionsarbeit ist die unentlohnte Arbeit, die zur Reproduktion von Arbeitskraft meist in familiären Zusammenhängen und überwiegend von Frauen ausgeführt wird und keine gesellschaftliche Anerkennung als Arbeit erfährt. International wenden Frauen durchschnittlich 3,2 mal so viel Zeit dafür auf wie Männer. Aus dieser Ungleichverteilung resultieren eine unterschiedliche Partizipation am Arbeitsmarkt oder der Gender Pay Gap.

Tägliche Haushaltstätigkeit von von 15 bis 64 – jährigen Frauen und Männern in Minuten. Grafik: überarbeitete OECD Statistik

Die Industrialisierung führte zur Dichotomie von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Haus-und Familienarbeit. Dies hat die Reproduktionsweise ausschlaggebend verändert und damit auch die Räume, in denen Reproduktion verrichtet wird.

Wie muss Wohnen gestaltet werden, damit gemeinschaftliche Sorgearbeit möglich wird? Im Folgenden werden unterschiedliche historische und zeitgenössische, theoretische und praktische Ansätze für eine räumliche Umorganisation von Reproduktionsarbeit angeführt. Wie machbar, leistbar, zugänglich waren die Umsetzungen und welche Auswirkungen auf die Lebensrealität von Frauen hatten sie?

Historische Ansätze zur räumlichen Umorganisation von Reproduktionsarbeit

Während der industriellen Revolution verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Arbeiter*innen und Kritik setzte direkt an der Gesellschaftsordnung an.

Frauenarbeit in der Industrialisierung.
Foto: WikimediaCommons

Ab Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelten kommunitäre Sozialistinnen, wie Charles Fourier oder Robert Owen, Utopien für die Umorganisation von Gemeinschaften, in denen industrielle Arbeit und Reproduktionsarbeit gleichgewichtet sein sollten. In vielen Siedlungsentwürfen und -experimenten versuchten sie, ihre Ideen von kollektiver Lebens- und Wirtschaftsführung zu realisieren. Sie strebten eher eine Verbesserung der Wohnsituation der Arbeiterinnen an und nur indirekt eine Entlastung der Frauen.

Aufbauend darauf setzten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts materialistische Feminist*innen für eine kollektive Hauswirtschaft und entwickelten Konzepte für Städte mit Zentralküchen, Zentralwäscherein, Hausarbeitsservice und Kinderbetreuung.

Schematischer Plan des Hauptquartiers für eine genossenschaftliche Hauswirtschaftsgesellschaft. Quelle: Hayden, D. (1981). The Grand Domestic Revolution: A History of Feminist Designs for American Homes, Neighborhoods, and Cities. S.70

Ende des 19. Jahrhunderts kam es auch in Europa zu einzelnen Initiativen und ähnlichen Umsetzungsversuchen, wie die Einküchenhäuser oder die Kommunehäuser in der Sowjetunion. Das Einküchenhaus in Wien zeigt, dass Umorganisation und Vergesellschaftung der Sorgearbeit keine Utopie sein müssen.

Einküchenhaus Kopenhagen, 1903. Erdgeschoss
1=Anrichte, 2=Essszimmer, 3=Wohnzimmer, A= Speiseaufzug
© Otto Fick, Quelle: WikimediaCommons

Die meisten der experimentellen Wohngemeinschaften scheiterten an ökonomischen Problemen. Oftmals war der Zugang limitiert und die Teilnahme an den Gemeinschaften nicht leistbar für die breite Bevölkerung. So beherbergten sie meist eine homogene Bewohner*innengruppe und schafften es oft nicht, Klassenunterschiede auszugleichen.

Auch die Umorganisation der Reproduktionsarbeit gelang nur zeitweise, wie beispielsweise beim Wiener Einküchenhaus Heimhof, in dem nach einigen Jahren die Zentralküche geschlossen werden musste. Die vielen gescheiterten Umsetzungsversuche waren meist mit sehr viel Kritik und Widerstand konfrontiert.

Zeitgenössische Ansätze zur räumlichen Umorganisation von Reproduktionsarbeit

Zeitgenössische Ansätze haben im Vergleich zu früheren Forderungen und Wohnmodellen an Radikalität eingebüßt. Die bestehende Wirtschaftsordnung mit der Teilung von bezahlter, produktiver Arbeit und unbezahlter, reproduktiver Arbeit, wird selten hinterfragt, und die Bereiche oft nicht mehr in Verbindung miteinander betrachtet.

Es wird an einer Veränderung einzelner Teilbereiche von Wohnen gearbeitet und Verbesserung anhand von praktischen Veränderungen erprobt und entwickelt. An den drei Ansätzen ist erkennbar, dass diese Umsetzung sehr wohl funktionieren kann.

Funktionsmischung im Städtebau und Wohnumfeld erleichtert die Verrichtung und Sichtbarkeit der Reproduktionsarbeit. Das Konzept der Stadt der kurzen Wege steht im Fokus der Wiener Stadtentwicklung und inkludiert belebte Erdgeschoßzonen. Arbeiten und Wohnen im Wohnbau zu verbinden, gelingt durch die Integration von Gewerbeflächen und Co-Working-Bereichen in Wohngebäuden. Beispielhaft ist die Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite in Zürich.

Vielfältige Einrichtungen und Nutzungen zur Erleichterung der Reproduktionsarbeit. Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite, Zürich, 2014. Darstellung: Irena Leskaj. Basisinformation: DETAIL 9, 2015

Neuen Formen gemeinschaftlichen Zusammenlebens sind nachgefragt als alternative, solidarische Wohntypologie zu herkömmlichen Wohnungen. Clusterwohnungen und Großhaushalte sind Wohnmodelle mit unterschiedlicher Privatheit und Öffentlichkeit für vielfältige Lebensentwürfe mit einem hohen Anteil an gemeinschaftlichen Bereichen.

Beispielhaft ist das Areal Zwicky Süd in Zürich, das Wohnen, Arbeiten, Kultur und Dienstleistungen umfasst. Der genossenschaftliche Wohnbau Berlin-Spreefeld bietet bei insgesamt 15% Gemeinschaftsflächen vielfältige Wohnungstypen, darunter auch Cluster-Wohnungen. Über einen Gemeinschafts- und Begegnungsbereich sind Ein- und Zwei-Zimmer Wohneinheiten erschlossen.

Cluster Wohnung mit Gemeinschaftsbereichen und individuellen Einheiten. Wohnprojekt Berlin-Spreefeld. Darstellung: Irena Leskaj. Basisinformation: Innovative Wohnformen, S.29

Die Erhöhung der Anerkennung und Sichtbarmachung der Reproduktionsarbeit durch architektonische Mittel umfasst die baulich-räumliche Aufwertung von Hauswirtschaftsräumen wie Waschküchen als zentrale Orte für kollektive Mehrfachnutzung. Beispielhaft ist das Wiener frauengerechte Modellwohnprojekt Frauen-Werk-Stadt 2 aus 2004.

Schlussfolgerungen

Die räumliche Umorganisation der Reproduktionsarbeit und alternative Wohnmodelle wurden und werden angedacht und umgesetzt. Es ist lohnend, sich mit historischen, theoretischen und alternativen Konzepten des Wohnens auseinanderzusetzen. Probleme wie Leistbarkeit, Machbarkeit und Zugang, welche zum Scheitern solcher Projekte führten, können überwunden werden. Durch die Befassung mit Misserfolgen und innovativen Lösungen lässt sich aus ihnen lernen. So können alte Ansätze weiterentwickelt oder neue Wohnmodelle erarbeitet werden.

Die meisten Ansätze zur räumlichen Umorganisation von Reproduktionsarbeit beschäftigen sich mit einer Zentralisierung und gemeinschaftlicher Verrichtung jener Tätigkeiten. Je nach Ausprägung der Wohnmodelle wurde und wird die Reproduktionsarbeit erleichtert. Hierfür werden im Bereich der Wohnarchitektur neue gemeinschaftliche Räume benötigt, wie beispielsweise Zentralküchen und -wäschereien.

Eine Umorganisation der Reproduktionsarbeit kann zur Lösung von ungleicher Verteilung der Haus- und Familienarbeit zwischen Männern und Frauen und damit einer verbesserten beruflichen und damit finanziellen Gesamtsituation von Frauen beitragen.

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