Studentisches Wohnen: Finanzielle und wohnspezifische Herausforderungen
Die Anzahl von Studierenden in Österreich ist seit Jahren steigend und weiterhin so prognostiziert. 2019 gab es landesweit 376,000 Studierende, 2035 werden es 423,000 sein. Student*innen stellen bereits über 10 % der gesamten Wiener Bevölkerung dar. 2020 betrug der Frauenanteil an österreichischen Hochschulen 54 %. Die finanzielle Situation von Studierenden gilt als eines der erheblichsten Probleme im Studium, 22 % geben große finanziellen Schwierigkeiten an.
Die Anzahl von studentischen Unterkünften wächst mit dem steigenden Bedarf nur bedingt mit. Die Leistbarkeit von Wohnen zählt zu den größten Herausforderungen für Studierende. Die studentischen Wohnkosten stiegen in allen Wohnungsmarktsegmenten von 2015 bis 2019 dreimal mehr als das Gesamtbudget von Studierenden und machen das Wohnen in Wien immer unerschwinglicher. Die nicht ausreichende Verfügbarkeit von leistbaren, geeigneten studentischen Wohnunterkünften ist angesichts der steigenden Studierendenzahlen ein brisantes Thema.
Weibliche und männliche Studierende sind zwar gleichermaßen erwerbstätig, jedoch verdienen Frauen schon während des Studiums 23% weniger als Männer. Damit sind Frauen mehr von der schwierigen Leistbarkeit von Wohnen betroffen.
In einer eigens erstellten online-Umfrage im November 2020 wurden daher Wohnrealität und Herausforderungen sowie Wohnbedürfnisse und -wünsche von Studentinnen ermittelt. Von den 55 Teilnehmer*innen waren 89 % Frauen, der Altersschnitt betrug 24,5 Jahre.
Wohnsituation der Wiener Studentinnen*
72% der befragten Studentinnen wohnen am privaten Mietwohnungsmarkt, davon 38% alleine oder mit Partner*in, 34% in Wohngemeinschaften. 12% wohnen im Studentenheim, 6% bei den Eltern, 2% im Gemeindebau.
Am privaten Mietwohnungsmarkt stiegen die Wohnkosten von 2010-2017 um 27 %, der Anteil von befristeten Mietverträgen lag 2018 bei 46 %. Studierende sind besonders häufig von Ungerechtigkeiten betroffen, viele private Vermieter verrechnen trotz gesetzlicher Regelungen zu hohen Mietzins und Betriebskosten.
Österreichweit wohnen 11% aller Studierenden in Studentenheimen, die die niedrigsten Zufriedenheitsraten (Größe, Kosten, Zustand) aller studentischen Wohnformen aufweisen. Die bundesweit 293 Heime sind großteils aus den 1960er bis 1990er Jahren von nicht-kommerziellen Anbietern mit mehrheitlich Einzelzimmern mit gemeinschaftlicher Sanitäranlage und Stockwerksküche. Die seit 2013 auf dem österreichischen Wohnungsmarkt präsenten, kommerziell errichteten Studentenheime bieten fast ausschließlich Einzelstudios an, die Kosten sind 2,5 mal höher als bei nicht-kommerziellen. Insgesamt verteuerte sich das Wohnen im Studentenheim 2009-2019 um 48 %.
Der Wiener Gemeindebau ist als kostengünstige Wohnform für die Mehrheit der Studierenden nicht zugänglich, weil eine vorangegangene zweijährige Hauptwohnsitzmeldung an derselben Adresse in Wien nötig ist, jedoch studentische Wohnbiografien oft wechselnde Wohnsitze aufweisen.
Damit ist erkennbar, dass Wohnbedürfnisse der Studierender durch das bestehende Angebot am Wiener Wohnungsmarkt vielfach nicht erfüllt werden. Es gibt eine unzureichende Auswahl von leistbaren, qualitätsvollen und flexiblen Wohnformen.
Wohnzufriedenheit der Wiener Studentinnen*
Unabhängig von ihrer Wohnform geben zwar 88 % der befragten Studentinnen an, mit ihrer Wohnsituation zufrieden zu sein, jedoch äußern beinahe alle den Wunsch nach niedrigeren Wohnkosten. Unzufriedenheit gibt es mit dem Zustand der Unterkunft, wie fehlendem Schallschutz und Heizung, Schimmel aber auch fehlendem Platzangebot.
Planungsansätze für studentisches Wohnen unter Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Bedürfnisse
Laut der Umfrage weisen die aktuellen Wohnformen der Studentinnen in vielen Hinsichten von ihrer Idealvorstellung ab. Die erwünschten sozialen und räumlichen Merkmale werden anhand der drei Maßstabsebenen Wohnumfeld, Wohngebäude und Wohneinheiten veranschaulicht.
Wohnumfeld
Studentinnen bevorzugen Wohnen mit guter öffentlicher und Fahrrad-Anbindungen an Studienort, Arbeitsplatz und Haushalte von Freund*innen und Familienmitgliedern. Wichtig sind ein lebendiger und sicherer Stadtraum mit Unterhaltungsmöglichkeiten, guter Nahversorgung und ruhigem Grünraum.
Wohngebäude
Gewünscht sind helle und saubere Erschließungsbereiche und Allgemeinflächen. Vielfältige, nutzungsneutrale Gemeinschaftsräumlichkeiten sollen eine Entlastung der Wohneinheiten ermöglichen. Abstell- und Einlagerungsräume sind wichtig. Größere Gebäude sollen in überschaubare Bereiche mit jeweils eigener Erschließung unterteilt sein. Begegnungen und soziale Kontakte in der Nachbarschaft werden als wichtig erachtet. Die Gewährleistung von Sicherheit durch baulich-räumliche Ausbildung ist essentiell.
Wohnungen
Wohngebäude sollen ein vielfältiges Spektrum von unterschiedlich großen Wohneinheiten für Einzelpersonen, Paare, Gruppen und Studierende mit Kindern aufweisen. Mehrpersonenwohnungen sind besonders für weibliche Studierende wichtig, denn sie leben häufiger in einer Beziehung, bilden die überwiegende Mehrheit von alleinerziehenden Studierenden und bevorzugen Zusammenlebensmöglichkeit mit Freund*innen. Mehrpersonenhaushalte sollen über mehrere gleich große Zimmer verfügen, die Flexibilität bieten. Damit werden Kriterien frauen*gerechten und lebensphasenbegleitenden Wohnbaus erfüllt und gleichzeitig sind damit auch alternative Formen des Zusammenlebens möglich.
Wohneinheiten sollen neutral gestaltet sein, um Personalisierung zu ermöglichen und verschiedene Nutzungsbereiche festzulegen. Sie sollten groß genug und alltagstauglich sein für vielfältige Aktivitäten wie Arbeiten, Lernen, Versorgen, Entspannung und Zeit mit Freund*innen oder Partner*in. Eigene Küche und Bad sind sehr wichtig. Vor großer Bedeutung sind ein privater Freiraum und Abstellbereiche. Gute Belichtung ist ebenso wichtig wie guter Schallschutz.
Handlungsempfehlungen zur Sicherstellung von leistbarem, qualitätsvollen Wohnen für Studierende
Auf den gegenwärtig und zukünftig hohen Bedarf nach leistbarem, qualitätsvollem Wohnen für Studierende für unterschiedliche Zusammenlebensformen und in qualitativ guter Ausstattung soll mit folgenden sozialen, finanziellen und baulichen Maßnahmen reagiert werden:
- Förderung der Kooperation von Studierendenverter*innen und Entscheidungsträger*innen im studentischen Wohnbau zur Bedarfsklärung und Optimierung des Raumangebots; dabei die Teilnahme von weiblichen Studierenden fördern, um auch deren Blickwinkel zu inkludieren
- Direkte und indirekte finanzielle Unterstützung Studierender durch Wohnungsbeihilfe, staatliche Förderung für Studentenheime, Mietzinsobergrenzen für gewerbliche Studentenheimanbieter sowie Durchführung von regelmäßigen Bedarfserhebungen
- Sanierung von staatlich geförderten studentischen Wohnunterkünften und Schaffung von vielen neuen Studentenheimplätzen mit vielfältigen Typologien für diverse studentische Wohnbedürfnisse